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Es war Anfang der 60er Jahre. Ich hatte gerade meine erste Stellung als Sekretärin bekommen. Um meinen Arbeitsplatz in der Bremer City zu erreichen, war ich auf Bus und Bahn angewiesen. Jeden Morgen das gleiche Theater: Da ich eine notorische Langschläferin war und noch immer bin, jeden Morgen mit dem Wecker um jede Minute kämpfte, war ich Tag für Tag in Zeitdruck. Zum Frühstück gab es eine Tasse Kaffee, die zwischen Anziehen, Haaremachen und Schminken heruntergekippt wurde. Dann ging es im Galopp zur Bushaltestelle. Dort angekommen, reihte ich mich in den Pulk der wartenden Leute ein. Damals waren die öffentlichen Verkehrsmittel mehr gefragt als heute, denn nicht jeder hatte ein Auto vor der Tür stehen. Endlich kam der Bus. Mit Drängeln und Schubsen versuchte jeder einen Platz zu ergattern. Die Leute standen dicht gedrängt bis an die Tür. Die Fahrscheine wurden von einem zum anderen bis zum Schaffner gereicht. Umfallen konnte man eigentlich nicht. Aber auch festhalten konnte man sich nirgends. Da ich von Natur aus nicht die Größte bin, stand ich eingekeilt zwischen einem jungen Mann und einem Herrn mittleren Alters. Dann passierte es! Der Busfahrer musste plötzlich bremsen und alle Fahrgäste wurden durcheinandergeschüttelt. In meiner Not versuchte ich irgendwo Halt zu finden und ergriff das Erstbeste, die Krawatte des Herrn vor mir. Aber sie gab mir keinen Halt, im Gegenteil, sie wurde immer länger! Entsetzt sah ich auf das Stück Stoff in meiner Hand, dann in das Gesicht meines Gegenübers. Unsere Blicke trafen sich. Meiner fassungslos, seiner sehr erstaunt. Vor Schreck ließ ich die Krawatte los und - päng! - knallte sie dem Mann unter das Kinn. Auch das noch! Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf stieg und hätte mich am liebsten unsichtbar gemacht. Während ich eine Entschuldigung stotterte, mich dabei immer mehr verhedderte, rückte der Herr seine Krawatte wieder zurecht. "Wissen Sie", klärte er mich auf, "ich bin nicht so geübt im Krawattenbinden. Deshalb trage ich diese Dinger am Gummiband. Ist eine tolle Erfindung! Die muss ich morgens nur über den Kopf ziehen." Nachdem ich mich von meinem Schock erholt hatte, wurde es noch eine nette Busfahrt mit einer anregten Unterhaltung. Er versprach mir, beim nächsten Treffen im überfüllten Bus würde er mich vorsichtshalber gleich in den Arm nehmen, damit so ein Missgeschick nicht wieder passiert. Dabei zwinkerte er mir amüsiert zu. Dann musste ich aussteigen und er winkte mir freundlich hinterher. Leider habe ich ihn nie wieder getroffen. War es Zufal , oder ist er mir vorsichtshalber lieber aus dem Wege gegangen ... ?
© Nora Runge
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